Brief von Basia Bobkowski

Ich habe einen Brief von Basia Bobkowski an Tymon Terlecki gefunden, den sie ihm nach dem Tod ihres Mannes von Guatemala aus geschickt hat. Ihr Brief gibt Aufschluss über ihre Sicht als Ehefrau des Schriftstellers. Er ist sehr offen und voller Trauer. Basia wendete sich an Tymon Terlecki, der beide gut gekannt hatte. Terlecki war eine sehr wichtige Persönlichkeit im kulturellen Leben der polnischen Emigranten, denn er, – selbst Emigrant, – hatte sich zur Aufgabe gemacht, die polnische Kultur im Ausland zu promoten und zu fördern.

Terlecki

Terlecki war 1939 ebefalls nach Paris gegangen, wo er jedoch, im Gegensatz zu Bobkowski, der Polnischen Armee beigetreten war. Er wurde dort Herausgeber von Polska Walcząca weekly, dem ofiziellen Organ der bewaffneten polnischen Streitkräfte im Westen. In dieser Funktion wurde er 1940 nach London evakuiert und bekam dort ein Initiator des literarischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens der polnischen Emigranten; organisierte u.a. Gewerkschaften der polnischen Künstler und Schriftsteller.

Er selbst schrieb u.a. Essays, literarische Portraits und Rezensionen für Jerzy Giedroyc’s Kultura in Paris, wo auch Andrzej Bobkowski publizierte. Er schrieb mehrere wichtige Essays und Bücher, wie Polska a Zachód. Próba syntezy (1947), Paryż (1952), Krytyka personalistyczna (1957), Egzystencjalizm chrześcijański (1958), Ludzie, książki i kulisy (1960), Pani Helena. Opowieść biograficzna o Modrzejewskiej (1962); und lehrte in mehreren Universitäten im Ausland bis er als Senior Professor an die State University of Illinois at Chicago Circle (1972–1977) gerufen wurde. 1973 bekam er schließlich die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Terlecki war auch in Amerika sehr aktiv und förderte das künstlerische und wissenschaftliche Leben in seinem Heimatland Polen bis zu seinem Tod. Er starb 2000 in Oxford.

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Auszug aus dem Brief an Tymon Terlecki:

“Vergessen Sie bitte nicht, dass ich nur eine einfache ‚Ehefrau‘ eines Schriftstellers war. Ich habe nie selbst geschrieben und meinem Mann hätte es sowieso nicht gefallen. Ich habe aber keine Angst davor, meine Wunden wieder zu öffnen – sie werden nie heilen, es ist mein tägliches Kreuz (…). Für mich können alle diese Jahre, die wie ein Traum vorübergegangen sind, so zusammengefasst werden. Wir sind wie zwei Verrückte mit 100 Dollar hierher gekommen. Mit null Ahnung von der Sprache und davon, wie schwer es hier ist, als Ausländer ohne Geld und Bekannte eine Arbeit zu finden (…) Als es dann ein bisschen besser geworden ist, kam die Krankheit, die Operationen. Auf beiden Seiten Leiden und Abschied vom Leben an seinem Höhepunkt. Seit dieser Zeit ‚erledige‘ ich es nur noch, mit meinem Mann als Befürworter meiner miserablen Arbeit.”

Übersetzung: Karolina Galuba

„Proszę pamiętać, że byłam tylko skromną ‚żoną‘ pisarza, nigdy nie pisałam sama, ani mąż by tego nie lubił. Nie obawiam się otwierania ran, bo one tak czy owak nigdy się nie zagoją, to jest codzienny krzyż.[…] Dla mnie te lata, które minęły jak sen, streszczają się do tego. Przyjechaliżmy dwoje szaleńców ze stoma dolarami w kieszeni. Nie znając języka i nie mając pojęcia o trudności znalezienia pracy tutaj dla cudzoziemca bez pieniędzy i znajomości. […] Gdy zaczęło nam iść trochę lepiej – przyszła choroba, operacje. Wzajemne cierpienie i wzajemne pożegnania życia w jego pełni. Od tego czasu już je tylko ‚wykańczam‘ biorąc męża za orędownika mojej ubogiej pracy.“ (z listu Barbary do Tymona Terleckiego)

Bildquellen:

(1) Tymon Terlecki: http://www.polskieradio.pl/7/178/Artykul/644010,Tymon-Terlecki-oczyma-bliskich

(2) Basia Bobkowski: http://andrzej-bobkowski.pl/zycie/Basia

Emigrationsmuseum Gdynia

DSC9255_fot. Bogna Kociumbas

Wir haben gestern im Emigrationsmuseum in Gdynia (http://muzeumemigracji.pl/en/) unser Bobkowski Projekt vorgestellt. Es ist das erste Museum in Polen, das sich mit der Geschichte der polnischen Emigration beschäftigt.

Das Museum ist im ehemaligen Gebäude der Marine untergebracht, von hier aus sind Ozeandampfer jahrzehntelang in See gestochen. Es wurde in der Zwischenkriegsperiode gebaut und für das Museum renoviert.

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Die permanente Ausstellung beschäftigt sich mit dem Schicksal bekannter und unbekannter polnischer Emigranten seit dem 19. Jahrhundert, u.a. auch für Andrzej Bobkowski, der 1948 mit seiner Frau Basia Bobkowski von Frankreich nach Guatemala auswanderte, wo er letztendlich auch starb. Die Besucher des Vortrages waren vor allem an der Motivation interessiert, die hinter dem Entschluss stand, Europa und vor allem auch Paris den Rücken zu kehren und ohne Geld und Kontakte ein neues Leben in Guatemala zu beginnen.

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http://www.muzeumemigracji.pl/pl/zaplanujwizyte/kalendarz/spotkanie_z_angelika_herta_i_filip_jacobson_-_spotkanie_godz_1600

Das Original

Seit der Publikation von Bobkowski´s Tagebüchern durch das Instytut Literacki in Paris 1957, gab es Stimmen, die Zweifel über die Authentizität des Textes äußerten, da sich in den Tagebüchern eine erstaunliche Exaktheit über den Hergang von Ereignissen finden lässt, die sich während und nach dem Krieg alle bewahrheiteten. Kritiker konnten über Änderungen jedoch nur spekulieren, denn zu dieser Zeit wusste man noch nichts von der Existenz der Originalmanuskripte. Erst im Jahr 2000 wurden die Manuskripte im Polish Institute of Arts and Sciences of America (PIASA) in New York aufgefunden. Zuerst änderte sich nichts an der Rezeption der Tagebücher, die fortlaufend das Bild des Schriftstellers als voraussehenden Beobachter des Zeitgeschehens bestätigte. Es war in der Kritik lediglich von kleinen Änderungen in den beiden Versionen die Rede.

Wie dem auch sei, Bobkowski hatte, während er die Herausgabe der Tagebücher vorbereitete, einige Paragraphen und Einträge geändert oder gestrichen, eine sicherlich herkömmliche Praxis in der Herausgabe von Tagebüchern. Dennoch hatten diese Änderungen einen großen Impakt auf das literarische Image des Autors. Wie weit ging Bobkowski mit seinen Änderungen, die seine Kriegsnotizen in eine “literarische Arbeit” umwandeln sollten? Und was können wir aus dem komparativen Vergleich der beiden Tagebuchversionen lernen?

Der polnische Wissenschaftler Łukasz Mikołajewski vergleicht in seiner Dissertation “Disenchanted Europeans. Polish émigré writers from Kultura and the postwar reformulations of the West”, die er am European University Institute in Florenz im Jahr 2012 veröffentlichte, das 1957 herausgegebene und überarbeitete Tagebuch “Wehmut? Wonach zum Teufel?” mit den eigentlichen Kriegstagebüchern, die Bobkowski von 1940-44 verfasst hat. Die Jahre, die zwischen dem Verfassen und der Veröffentlichung der Tagebücher liegt, kennzeichnen eine Zeit der großen Veränderungen der politischen Sprache und Ideen der meisten europäischen Intelektuellen. Kann man in den Korrekturen der Nachkriegszeit auch ein verändertes politisches Denken Bobkowskis gegenüber dem Original finden?

Man findet, laut Mikołajewski, in “Wehmut? Wonach zum Teufel?” sowohl kleinere als auch größere politische Änderungen, die man kaum übersehen kann: Bobkowskis Einstellung während des Krieges zum Thema Elitarismus, Massenkultur und Einstellung europäischer Intelektuellen gegenüber den USA, sowie, was wohl am wichtigesten ist, seine Anmerkungen zu Juden und ihre Verfolgung während des II. Weltkrieges. In dem Mikołajewski diese Änderungen vergleicht, bekommt man ein leicht verändertes Bild von Europa und Bobkowskis früherem Europäertum. Ein Bild, das er in den späten 50er Jahren zu verschleiern oder zu korrigieren bevorzugte.

Bobkowski veränderte seine Tagebücher und passte sie der veränderten geopolitischen Situation und den neuen politischen Meinungen an, in dem er viele Sachen korrigierte, um sich so zu präsentieren, wie er sich in den 50er Jahren selbst sah. Was am meisten von ihm adjustiert wurde, waren die emotionalen Reaktionen und politischen Kommentare des Erzählers. In dieser Beziehung erfuhren die Tagebücher die größten Änderungen und Bedeutungswechsel.

Während des Krieges sah Bobkowski Juden und Mitglieder der Freimaurer als Hauptgefahr für die Zukunft Polens und Europas. In der publizierten Version der Tagebücher veränderte er den Text, um diese Ansichten zu verstecken und anderen politischen Agenten zuzuschieben. Seine antisemitischen Ansichten sind in den publizierten Tagebüchern gänzlich absent. Bobkowski akzentuierte während des Publikationsprozesses Aspekte seiner Gedanken und verschleierte andere; bezüglich seines Antisemitismus änderte er jedoch im Buch radikal seine Meinung.

Łukasz Mikołajewski legt deshalb in seiner Analyse besonderes Augenmerk auf dieses Thema. Er macht dabei klar, dass die antisemitischen Gefühle Bobkowskis in einer ganzen Generation polnischer Intelektuellen präsent sind. Wie bereits bekannt ist, bekam Bobkowski seine Universitätsausbildung in den 30er Jahren in Polen – einer Zeit in der der Antisemitismus in den neuen zentral- und osteuropäischen Nationalstaaten eskalierte.

Bisher ist es nicht bekannt, dass Bobkowski einen Artikel publiziert hätte, in dem er seine antisemitischen Meinungen geäußert hat. In dieser Hinsicht nimmt sich sein Schweigen in der Nachkriegszeit und seine Korekturen anders aus, als die anderer europäischer Intelektueller seiner Generation, wie etwa Paul de Man, Cioran, oder Mircea Eliade. Trotzdem kann man sein Tagebuch als wichtiges Dokument ansehen, das die Schwierigkeiten der Konfrontation der persönlichen Geschichte in den Nachkriegsjahren zeigt. Bobkowski kreierte sein literarisches Selbst in der Nachkriegsperiode, ohne sein damaliges Bild von Europa und seine politischen Ansichten während des Krieges öffentlich zu machen.

In seiner Arbeit interessiert sich Mikołajewski weniger für biographische Details als für den Wechsel der politischen Perspektive Bobkowskis und er argumentiert, dass diese Änderungen mehr als rein literarisch oder stilistisch anzusehen sind, sondern signifikant sind für die politische Aussage der Arbeit des Schriftstellers.

Fehlende Textpassagen in der deutschen Übersetzung

Band I der Tagebücher aus Frankreich 1940-41 mit dem deutschen Titel „Wehmut? Wonach zum Teufel?“ wurde von dem österreichischen Schriftsteller Martin Pollack ins Deutsche übersetzt.

Eine engagierte deutsche Verlegerin, die sich für Bobkowski begeistern ließ, gab den ersten Band im ROSPO Verlag im Jahr 2000 heraus. Zu einer Übersetzung der gesamten Tagebücher kam es jedoch  nie, da der Verlag vorher bankrott ging; Bobkowski hat scheinbar nicht dazu beigetragen, den Verlag vor dem Untergang zu retten.

Wie dem auch sei, beim Lesen der Tagebücher fiel mir auf, dass einige Stellen in der deutschen Übersetzung vom Lektorat gekürtzt worden waren.

Ich habe mir die Stellen genauer angesehen und ins Deutsche übersetzen lassen. Es handelt sich oft um kurze Sätze, die weggelassen wurden, manchmal jedoch fehlen ganze Passagen, einmal sogar ein ganzer Tagebucheintrag. Es sind Stellen, in denen Bobkowski monologisiert und über den Begriff  “Kultur” und “Zivilisation” nachdenkt. Ich denke, die Passagen sind es wert, an dieser Stelle veröffentlicht zu werden. Stellen, die mir besonders gefielen, habe ich fett markiert. Übersetzt hat Polkowska Monika.

27.08.1940

Eigentlich sollte der Mensch immer ein weißes Blatt Papier sein, mit genügend Platz für alles Mögliche. In Wahrheit ähneln die Menschen ganz schnell einem Heft, kariert, liniert, oder gar den Tabellen eines Buchhalters. Sie schreiben sich auf eine bestimmte Art und Weise, weil es „besser“ aussieht.

Ganz oft scheint mir, dass der sogenannte Verstand, der verlogenste Winkel der menschlichen Seele ist. Sehr oft ein Bazillenherd schlimmster Verlogenheit.

Glaube an etwas, das eigentlich nichts anderes als ein Gehstock, der krumme Gedanken stützt, ist. Abbruch der Verbindungen mit jemandem, den man mag oder liebt, ist daher oft unangenehm und schwierig, weil man mit sich selbst bricht.

Warum wird als Beispiel für die Kultur eines Volkes gewöhnlich diejenige Kultur angeführt, in der dieses Volk in die Brüche gegangen ist? Es stimmt nicht, dass Kulturen wegen externer Anstöße zerfallen. Sie fallen zuerst von alleine auseinander. Der externe Anstoß ist nur ein Schlag der barbarischen „sica”.

Die Kultur und Zivilisation unserer Zeit erinnert mich an einen Irren, der einen Stapel alter Zeitungen in Stücke zerschneidet, auf jedem „eine Million Dollar” schreibt, alles in die Brieftasche steckt, und selbstsicher zu sich sagt: ich bin reich.

29.8.1940

Tadzio stellt oft ganz unerwartete Fragen und fordert eine konkrete Antwort. Unsere Gespräche erinnern an ein Fechtspiel, bei dem ich ein profunder Fechter bin; ich kenne alle Stöße, Terzen, Quarten, Oktaven, während mein Gegner das Florett einfach in die Hand nimmt, damit herumfuchtelt und sobald er mir ins Gesicht schlägt, lächelt er mich herablassend an und sagt: ganz schön, du bist nicht schlecht, aber du hast einen abgekriegt, wenn es auch unfair abgelaufen ist. Und wieder mal erinnert er mich an dieses Mädchen aus der Erzählung von Światopełk-Karpiński: der Vater hatte einen Sohn, der die Erkenntnis über alles stellte. So dachte der Vater einmal, dass der Sohn lediglich einen Ansporn brauchen würde. Er ließ in das Zimmer des Sohnes ein wunderschönes Mädchen bringen. Der Junge war begeistert: dein schönes Gesicht ist wie eine Ellipse, deine Augen sind wie deren zwei Brennpunkte, und so weiter bis hin zur Ellipsengleichung. Das Mädchen erwiderte ihm daraufhin sachlich: na gut, aber die Ellipse kostet mehr.

Heute legten wir auf uns in den Sand. Absolute Stille. Die Sonne war einfach dick und floss aus dem Himmel langsam und schwerfällig heraus, wie Aprikosenkonfitüre aus der Dose. Tadzio setzte sich plötzlich auf, strich seine verblichenen Haare aus der Stirn und schoss los:

— Sag mir doch, was mit dieser Welt los ist?

Jetzt, gleich, sofort. Für ihn ist die Welt ein Verbrennungsmotor, der bis jetzt funktionierte und nun plötzlich versagt. Er glaubt, ich kann ihm so auf der Stelle antworten, einfach so: der Vergaser ist verstopft, man sollte ihn nur durchpusten und er wird wieder in Ordnung sein. Nein — ich kann nicht, obwohl ich weiß, so wäre es am einfachsten; handwerklich, wie ich es in der Basztowastrasse in Krakau erlernt habe: der Kapitalismus, lieber Tadzio! Oder anders, Kapitalismus ist nur eine der meist greifbaren Ursachen dessen, „was mit der Welt los ist”. Mir scheint, dass in derartigen Prozessen, das was so greifbar ist, nicht das Wesentliche ist. „Das Greifbare“ ist eher ein Zeichen bestimmter wesentlicher, in der Regel ungreifbarer Prozesse.

Ich dachte einen Moment darüber nach und dann legte ich los. Es waren lange Stunden der Kleinarbeit mit dem Florett. Tadzio hörte mit Interesse zu, dann stütze er sich auf den Ellenbogen auf und sagte ungeduldig:

— Jędruś, ich bitte dich! Ich will dich nicht beleidigen, aber all das Gerede über dieses Ägypten, Griechenland, die Römer, das Mittelalter und über diese Renaissance und was noch nicht alles, ist zwar interessant, aber du gerätst ins Trudeln.

Diese genialen, intuitiven Bezeichnungen von Tadzio. Ich bin mir nicht sicher, ob das Wesen der intellektuellen Verwirrung besser ausgedrückt werden könnte, als mit diesem Begriff, den er aus seiner Zeit bei der Luftwaffe kennt: ins Trudeln geraten. Und er hatte Recht damit: ich geriet ins Trudeln und brauchte Gleichgewicht. Ich setzte mich. Ich stimmte ihm zu, fragte aber, ob er mich überhaupt verstand und ob es für ihn interessant war.

— Klar, so ganz dumm bin ich doch nicht; aber ich bitte dich, mein lieber König, es geht darum, dass der Hitler gekommen ist, den Schwanz hochhielt und auf einmal erlahmte alles. Die ganze Welt, verstehst du?

Komisch. In all den Gesprächen glaubt er gewöhnlich, dass ich ihn nicht gut genug verstehe, und ich denke, er könne mich nicht verstehen. Und doch, wir verstehen uns viel besser als wir glauben. Jetzt kniete ich mich nieder, hielt meine Hand über seinem Kopf und begann:

— Hör zu, all das, was ich dir so lange erzählte, musst du damit im Zusammenhang sehen, was ich dir jetzt sagen werde. Es ist ganz einfach. Wenn eine Gesellschaft anfängt, Karten zu spielen, zahlt jeder, wie du weißt, einen Einsatz.

— In die Bank, versteht sich,  korrigierte mich Tadzio.

— Ok, in die Bank. Also hat die ganze Welt, die du meinst, das Spiel fast gleichzeitig angefangen. Drei Partner haben in die Bank je ein rundes Sümmchen eingezahlt. Drei Einsätze: griechisch, römisch und christlich. Jede von diesen gleichwertigen Zahlungen kam jedoch in einer anderen Währung. Pass gut auf: die Griechen zahlten den Begriff des Menschen und den Verstand ein, den normalen menschlichen Verstand als Maßstab alles Möglichen. Der Verstand und der Mensch bedeuteten für sie so viel wie für dich der Zollstock. Und darum haben sie die Theorie geschaffen. Was die Theorie ist, verstehst du (gell!). Römer haben die Praxis als Einsatz, und hauptsächlich das Recht und dessen Achtung. Und jetzt wiederum stell dir diese Welt als ein Thermometer mit Skala vor. Die Griechen und Römer haben ihre Einsätze unter null gezahlt. Es herrschte Frost. Trotz aller Mühe der Philosophen, die diese Kühle wahrnahmen, war all das kalt, und sie konnten die Kälte nicht loslassen und sie konnten die Temperatur der Welt nicht erhöhen, weil ihnen, trotz allem, das Gefühl der Menschlichkeit fehlte. Den Menschen haben sie als ein denkendes Stück Fleisch betrachtet.

Plötzlich, an der Stelle, wo auf dem Thermometer der rote Strich ist, wird Christus geboren. Die Temperatur steigt sofort, denn mit seiner Geburt wird erst auch der wahre Mensch geboren. Er und seine Jünger bringen die Nachricht über den neuen Menschen, über sein irdisches Leben und über das Leben der Seele, über die Ewigkeit. Erst dann fängt in diesem Menschen das echt warme Blut zu kreisen an, manchmal auch zu warmes Blut. Erst dann erwacht in diesem Menschen die wahre Menschenwürde. Kurz um, Christus entdeckt und treibt den Preis des Menschen auf diesem menschlichen Jahrmarkt, der im Nullpunkt stattfindet, in die Höhe. Verstehst du das?

Tadzio starrt mich mit diesen blauen Augen an und nickt.

— Babyeinfach! Gib mir Tabak und mach weiter.

Ich fasse also zusammen:

— Griechenland bringt Verstand, Suche nach der Wahrheit, Kampf gegen Unaufgeklärtheit, Vorurteile und Fanatismus in die Bank ein. All das ermöglicht den Menschen Kommunikation, eröffnet Diskussion. Rom gibt noch Recht, Lehre über Rechte und Pflichten zu; Christentum wiederum die Unterscheidung zwischen dem irdischen und ewigen Leben, dann den Begriff der Würde des Menschen, also den nicht nur als Nutzen verstandenen Wert der Person. Es [Christentum] legt endlich Grenzen der staatlichen Macht über den Menschen fest. Am Nullpunkt, durch den roten Strich markiert, beginnt das Spiel. Alle diese drei Einzahlungen bleiben auf dem Tisch der Weltgeschichte liegen. Die ersten Spieler sterben – die nächsten kommen. Selbstverständlich zahlt jeder etwas ein oder verliert etwas von dem – durch dessen Vorgänger eingebrachten Kapital. Manchmal sind die Einsätze klein, manchmal auch eigentlich keine, und ein anderes Mal sind das ganz runde Sümmchen. Die einen heben die christliche Anlage hervor oder vermindern sie; so wie andere die griechische oder die römische betonen. Dieses Spiel ist mal mehr, mal weniger fair, eines ist aber sicher: keiner stellt den großen und wohl unschätzbaren Wert – ja, präge dir das ein – der griechischen, römischen und christlichen Einlagen in Frage. Es wird diskutiert, der Wechselkurs ist verschieden, aber aus dem Verkehr, aus dem Spiel werden sie keinesfalls gezogen. In der Welt ist es schlimm, stimmt, aber keiner hat soweit seinen Glauben an diese drei großen Einsätze verloren; es besteht die Hoffnung, dass viele Probleme mit deren Hilfe zu lösen seien. Viele sind bereits gelöst worden und ihre Werthaltigkeit hat nie versagt, auch als man geschickt versuchte, sie zu mischen. Es wurden schlimmere oder bessere Mischungen bereitet, aber nie, ich wiederhole – nie hat man den Wert der Hauptbestandteile: Griechenland, Rom und Christus total angezweifelt. In der Welt ist die Lage immer schwieriger. Ich erkläre dir dieses ganze Phänomen später, damit du ein klares Bild bekommst. (Hier würde das Kapitalismuskapitel beginnen.) Und so erscheint zuerst Faschismus und danach Hitler. Als vermeintliche Heilmittel.

Ich fühle, wie etwas in mir hochkommt. Bis jetzt habe ich darüber nicht nachgedacht. Bewusst habe ich mich in diesen Tagen in einen Empfangsapparat mit einer sehr eingeschränkten Reichweite umkonstruiert. Und jetzt hat’s angefangen… Ich erzähle das alles nicht mehr Tadzio; ich weiß, dass ich das vor allem zu mir selbst sage. Ich fasse es für mich jetzt zusammen, damit es später nicht zu lange dauert.

Das charakteristische Merkmal dieser Heilmittel ist das, was man Totalitarismus nannte, das heißt eigentlich eine absolute und völlige Verneinung all der drei großen Einsätze. Für den Totalitarismus gibt es nichts unantastbares, und du als Mensch je nach deinen Fähigkeiten, bist vor allem kein Tadzio, sondern lediglich eine Schaufel, Keilhaue, ein Schraubenzieher, eine Feile und so weiter. Leute wie ich sind nur eine Feder, Pinsel, Schallplatte oder im Allgemeinen – am ehesten – eine Drehorgel. Man kann mit ihnen machen, was man will. Ihr Schicksal, ihr Leben hängt mit einem zentralen Diagramm zusammen, das diktiert, ob es ihnen besser oder schlimmer gehen wird. Quecksilber, das nur mit Mühe über Null hochgesprungen ist, fällt jetzt rapide runter. Es zieht erneut die Kälte der Heidenwelt an, ein heidnisches pańswtochwalstwo [„pańswtochwalstwo“ existiert nicht als Wort, ist aber dem „bałwochwalstwo“ – Götzendienst ähnlich, hier: „państwo“- Staat, „chwalstwo“ – Dienst, der Sinn wäre hier: den Staat blind vergöttern], aus dem, mit welcher Begründung auch immer, Einstein, Manns und Werfel vertrieben werden, so wie Anaxagoras, Ovid vertrieben wurden, während Andere zum Selbstmord getrieben werden, so wie Sokrates. Grausam und hoffnungslos. Was wird nur daraus werden?

Ich schreie fast. Was geht es mich an, dass Tadzio nicht weiß, wer diese Leute waren – ich sage das alles zu mir selbst. Man darf solche Dinge nicht vergessen. Die Gedanken schiessen chaotisch durch meinen Kopf. Der Sand ist so heiß. Was tun, was tun? In diesem Augenblick – nicht vergessen, nicht einmal für einen Augenblick. Ich spürte, dass Tadzio mich diesmal wirklich mit Respekt anblickte. Er sagte nichts, saß nur mit überschlagenen Beinen da und spuckte ab und zu ins Wasser.

10.09.

Und ich kann mich an die Anschrift auf ihrem (Katherine Mansfield) Grab in Avon erinnern: But I tell you my Lord fool out of the nettle danger we pluck this flower safe. So gelingt es auch mir. Ich pflücke unversehrt die Blumen, indem ich der stacheligen Gefahr entkomme. Ich setzte mich an den Tisch und schaute vor mich hin. Wäre ich im Stande, diesen Ausblick so einfach und natürlich zu beschreiben wie sie? Eine gute, echte Prosa ist wie ein Kleid von Paquin oder Molyneux: eigentlich nichts, und doch, da ist alles drin. Etwas total Ungreifbares. Wie scharfe Granaten, die der Autor seinem Leser gibt, mit denen er ihn ausstopft, damit sie in ihm explodieren. Je länger die Explosion, desto größer der Schriftsteller. Alle großartigen Explosionen um den Lesenden können prächtig sein, können für eine Weile auch betäuben, letztendlich bleibt danach nicht viel übrig.

13.09.

Was ist diese Kultur für Neger, für Tadzios? Staś wurde in Kalis Augen ein Weltmann, als er die Beduinen erschossen hat. [ Staś und Kali – kommen aus dem Buch von Henryk Sienkiewicz „W pustyni i w puszczy” / In Desert and Wilderness/ Durch Wüste und Wildniss  – ist/war eine Pflichtlektüre für polnische Kinder und Jugendliche] Kali mochte Staś für seine Gutmütigkeit, für die Kultur, deren Überlegenheit er spürte, trotzdem hatte er keinen Respekt für ihn. Er begann Staś erst zu respektieren, als er bereit war, seine eigene Kultur und seine Prinzipien zu verteidigen, die ihn veranlassten, SOGAR Kali als Menschen zu behandeln. Und es ging dabei nicht nur um Verteidigung [der Anschauung], dass SOGAR der Neger als ein Mensch zu betrachten ist, sondern dass man GENERELL den Menschen als Menschen betrachten soll. Diese Neger wissen es bestimmt nicht — und Tadzio weiß es nicht, aber vielleicht spüren sie das? Und daher zeigen sie keinen Respekt. Mit ihrem Niveau an Feinsinnigkeit zählen die Finessen de la raison pure[1] einfach nicht.

[1] purer Verstand

24.09.

Tadzio schweigt und plötzlich wird er wütend:

— Na also, was ist Kultur und was Zivilisation? Du sprichst immer wieder darüber, aber wo liegt der Unterschied? Ich verstehe nicht.

Ich kratze mich am Kopf.

— Hör zu, dieses elektrische Licht im Zelt, dieser ganze Garten mit der Mülltonne, mit Waschräumen und Plumpsklo, das ist Zivilisation. Wenn wir mit all dem umgehen können, wenn wir Glühbirnen nicht stehlen und unsere Koffer nicht mit Draht festbinden, wenn wir nicht in die Ecken kacken, aus dem Klo Brennholz machen, und wenn wir morgen den Ort verlassen, ohne mit dem Wachmann gestritten und ihm zum Abschied in die Fresse gehauen zu haben, dann nennt sich das KULTUR. Zivilisation und Kultur sind Frage und Parole im Manöver. Das eine kann nicht ohne das andere existieren. Sie sind wie Schraube und Mutter, erst mit beiden kannst du etwas machen, etwas zusammen- oder anschrauben. Die Kultur, die höhere, also die nächste Stufe der Kultur, das wäre auch, wenn ich dir jetzt, beim Licht dieser Glühbirne, die Geschichte der Beleuchtung generell und über die Rolle der Beleuchtung für die Kultur der Nationen speziell erzählen würde. Weißt du, dass die Beleuchtung ein Problem war, das die hochentwickelten, altertümlichen Zivilisationen kaum handhaben konnten? Es qualmte immer etwas und nach einem nächtlichen Festmahl ähnelten die prächtigen römischen Villen eher unseren Bauernhäusern ohne Rauchabzug. Die Mauer war gerußt und auserwählte Sklaven mussten sie jedes Mal säubern. Tadziu, verstehst du endlich, was für einen Unterschied es zwischen Kultur und Zivilisation gibt?

„Du wirst gleich sehen, dass ich verstanden habe.“

Basia Bobkowski

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Seit Jahren recherchiert Joanna Podolska- Płocka über Andrzej Bobkowski und ist vor allem auch an der Frau an seiner Seite, an Basia Bobkowski interessiert. Sie ist seit 2011 Direktorin des Dialog-Zentrum Marek Edelman (http://centrumdialogu.com) in Lodz, organisierte dort im Bobkowski Jahr 2013  u.a. eine große Ausstellung über ihn und fuhr mit Studenten aus Lodz Teile des Tagebuchs während einer Recherchereise in Frankreich nach. Joanna Podolska- Płocka arbeitet an einer Biografie über Bobkowski, kennt seine Familie und war in Guatemala, wohin das Ehepaar Bobkowski 1948 übersiedelte. Von ihr wissen wir mehr über Basia, über die sie auch einige Artikel verfasst hat.

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Barbara Birtusowna, kurz Basia genannt, arbeitete in Krakau in den 30er Jahren als Nachhilfelehrerin für einen Cousin von Andrzej. So lernten sich die beiden besser kennen, gegen den Willen der Eltern, die diese Verbindung von Anfang an wohl nicht gut hießen. Als Andrzej so weit ging, die Schule zu vernachlässigen und in Folge seine Matura nicht schaffte, zogen die Eltern alle Register und schickten ihren Sohn nach Warschau, wo er ein Wirtschaftsstudium absolvieren sollte. Andrzej blieb dort 5 Jahre, hielt in dieser Zeit aber Kontakt mit Basia, die in der Staatlichen Schule für Kunsthandwerk studierte. Sie heirateten im Dezember 1938, obwohl ihre Ehe von der Familie als Mesalliance angesehen wurde. Schon 1939 ging das frisch vermählte Ehepaar nach Paris und blieb dort bis 1948; in diesem Jahr entschlossen sie sich, von Marseille aus  mit dem Schiff nach Guatemala zu übersetzen, und ein neues Leben zu beginnen. Für beide, die mit sehr wenig Geld nach Guatemala gekommen waren, dürfte der Neustart hart gewesen sein. Basia unterrichtete Malerei, entwarf und schneiderte Kleider. Andrzej interessierte sich für Modellflugzeuge und öffnete schon bald das Guatemala Hobby Shop, in dem er selbstgebastelte Modellflugzeuge verkaufte. Er war bald von Modellbau-Enthusiasten umgeben, öffnete einen Klub für Modellbauer und nahm an internationalen Wettkämpfen teil.

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Auf Fotos ist Basia immer gut und sorgfälltig gekleidet. Man sieht ihr die Armut und die ärmlichen Verhältnisse, in denen sie lebte, nicht an. Sie war es, die in den ersten Jahren in Guatemala Geld verdiente, was in der Beziehung mit Andrzej neu für beide war. Podolska- Płocka betont in einem Interview, dass Basia eine künstlerisch begabte Frau war, die jedoch ihr Leben ihrem Mann und seiner Literatur widmete. Sie unterstütze ihn, übersetzte für ihn, korrigierte seine Texte.

Basia überlebte Andrzej 20 Jahre. Eine lange Zeit, die sie in Guatemala blieb, um näher bei Andrzej zu sein, der dort begraben ist.

Kurzes Interview mit Joanna Podolska- Płocka über Basia:

Bildquellen:

Bild 1 – http://www.andrzej-bobkowski.pl/fotografie/gwatemala,gid,41

Bild 2- http://culture.pl/pl/artykul/bobkowski-cyklista-modelarz-pisarz

Bild 3 – https://wizjalokalna.wordpress.com/2011/10/09/andrzej-bobkowski-szkice-piorkiem/andrzej-bobkowski-z-basia-w-paryzu/

Die Wirtschaftsuni in Warschau

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Heute war ich in der Szkola Glowna Handlowa, der Wirtschaftuni in Warsch au, wo Andrzej Bobkowski ab 1933 fünf Jahre lang studierte. Im Gebäude fand ich Fotos von Absolventen, auch das Portrait von Andrzej Bobkowski ist dabei.

20150813_153532_resizedDie Warschauer Wirtschaftsschule (SGH) ist die älteste Witschaftsuniversität in Polen. Sie wurde 1906 in einer Zeit gegründet, in der Polen zwischen Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt war. August Zielinski, der Gründer der Schule bekam die Erlaubnis von den russischen Behörden Kurse anzubieten, die in Polnisch abgehalten wurden. 1918, nach der Unabhängigkeit Polens, wurde die „Handelshochschule“ als Universität anerkannt.

20150813_151601_resizedWir treffen Łukasz Mikołajewski zu einem Interview in der Universität. Er erzählt, dass es in der Zeit,
in der Bobkowski dort studierte, immer wieder zu antisemitischen Äußerungen und Handlungen kam. Übergriffe auf jüdische Studenten häuften sich, obwohl der Rektor der Universität dagegen anzukämpfen versuchte. Bobkowski studierte 5 Jahre in diesem Klima, ein Jahr mehr, als dort üblich, da die Kurse wegen den ganzen Zwischenfällen ausgesetzt wurden. Es muss zu einigen Ausschreitungen gekommen sein, laut Łukasz wurde ein jüdischer Student von seinen Kollegen aus dem Fenster geworfen, andere daran gehindert, an Kursen teilzunehmen. Wie sich Bobkowski dazu verhielt, wissen wir nicht.

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